Der Trend setzt sich durch: Selbst Weine für 150 Euro pro Flasche werden mit Drehverschluss angeboten
Es sieht schlecht aus für den traditionellen Weinkorken. In diesem Jahr werden vermutlich weltweit rund 2,5 Milliarden Flaschen mit Schraubverschluss verkauft – vor fünf Jahren waren es nur rund 300 Millionen. Und auch andere Alternativen zum Kork wie Kunststoffpropfen, Kronkorken und Glasverschlüsse setzen sich immer weiter durch. Vor allem: Es handelt sich längst nicht mehr um ein Phänomen des Billigweinmarktes. Der Pariser „Figaro“ berichtete gestern verdutzt, dass das renommierte burgundische Weingut Jean-Claude Boillet jetzt sogar einen Wein für 150 Euro pro Flasche mit Schraubverschluss verkauft. In den Ländern der Neuen Welt, deren Winzer nicht so stark von Traditionen geleitet werden, aber auch z. B. in Griechenland, kommt längst mehr als die Hälfte der Flaschen ohne Korken in den Handel.
Für die Winzer und ihre Kunden ist das wie eine Befreiung. Denn das in vielen Korken vermutlich als Abbauprodukt von Pflanzenschutzmitteln vorkommende Trichloranisol (TCA)hat in den letzten Jahren immer mehr Weine verdorben – die Ausfallquoten erreichten manchmal zehn Prozent. Hinzu kommt, dass viele betroffene Weine nicht den auffälligen, muffigen Kellergeschmack aufweisen, sondern nur flach und belanglos wirken; das fällt auf den Winzer zurück.
Mit den neuen Verschlüssen ist es erstmals möglich, zu erreichen, dass jede einzelne Flasche so schmeckt, wie der Winzer es sich gedacht hat. Es gibt noch viele Einwände gegen die Dichtungen aus Kunststoff oder Zinnfolie, die bei den neuen Verschlüssen nötig sind, doch die sind mit wachsender Erfahrung der Hersteller leiser geworden. Widerstand kommt nach wie vor aus den Restaurants, wo die Kellner nur ungern auf das
Plopp-Ritual verzichten, weil sie das Aufschrauben stillos finden. Von Gästeprotesten ist aber nichts zu hören; je moderner der Stil des Restaurants ist, desto schneller verschwindet der Korken.
Die absehbar letzte Bastion des Korks sind die wertvollen, zur langen Lagerung bestimmten Rotweine, vor allem aus Burgund und Bordeaux. Naturgemäß gibt es noch keine Erfahrungen damit, wie die neuen Verschlüsse auf Weine wirken, deren volles Potenzial sich erst nach Jahren und Jahrzehnten auf der Flasche zeigt. Allerdings gilt die traditionelle Auffassung, dieser Prozess habe mit dem Eindringen von Luftsauerstoff durch den Korken zu tun, längst als Irrtum – Undichtigkeit ist immer schlecht für den Wein. Viele bedeutende Güter erproben die neuen Verschlüsse längst.
Zu diesen neuen Verschlüssen zählt allerdings auch: der Korken. Das so genannte DIAM-Verfahren, bei dem Korkgranulat mit Heißdampf behandelt und anschließend in die bekannte Form gepresst wird, gilt als sicheres Mittel gegen TCA. Nachteil: Die Korken sehen genauso aus wie die herkömmlichen, billigen Presskorken. Der rheinhessische Weltklassewinzer Klaus-Peter Keller, der bislang dem klassischen Korken treu war, hat im Jahrgang 2007 erstmals Silvaner und Weißburgunder damit abgefüllt – ein wichtiges Zeichen. Es könnte also sein, dass die Weinkellner auch in Zukunft noch das klassische Ritual aufführen dürfen, ohne hinterher mit dem Gast über Korkschmecker streiten zu müssen.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 08.07.2008)
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