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28.07.2004
 

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INTERVIEW MIT VERKEHRSFORSCHER

Ameisen stehen nicht im Stau

Nix geht mehr. Die Blechkolonne auf der der Autobahn streckt sich bis zum Horizont, die nächste Ausfahrt ist weit weg: Stau. Um Wege aus dem Verkehrskollaps zu finden, studiert der Physiker Martin Treiber vom Fachbereich Verkehrswissenschaften der TU Dresden das Verhalten von Ameisen.

Als Stauforscher studieren Sie das Verhalten von Ameisenkolonien. Sind Ameisen die besseren Autofahrer?

Stau auf der Autobahn A8 München:  Ameisen tauschen sich anders als Autofahrer ständig über die schnellsten Wege aus
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AP

Stau auf der Autobahn A8 München: Ameisen tauschen sich anders als Autofahrer ständig über die schnellsten Wege aus

Martin Treiber:

Die Analogie darf man nicht überstrapazieren: So stören Kollisionen im Ameisenverkehr nicht wesentlich, denn die Ameisen laufen übereinander weg. Aber das Interessante beim Ameisenverkehr ist die Selbstorganisation der "Ameisenstraßen" und die Effektivität bei der Erkundung von neuen Futterquellen. Wenn die Tiere durch Zufall auf neue Nahrung stoßen, melden sie das durch Geruchsstoffe, Pheromone, an die anderen Ameisen weiter. So was gibt es beim Autoverkehr natürlich nicht.

Wie entsteht überhaupt ein Stau?

Treiber: Für nahezu alle Staus sind drei "Zutaten" verantwortlich: Ein hohes Verkehrsaufkommen, etwas, was einen gleichmäßigen Verkehrsfluss stört und eine kurze, örtliche Störung. Der Verkehrsfluss kann durch vielerlei ins Stocken geraten: Das können Anschlussstellen oder Autobahnkreuze sein, die Sperrung oder Verengung von Fahrspuren, ein Unfall, Steigung, Gefälle oder Kurven. Sogar ein Unfall auf der Gegenfahrbahn kann Schuld sein. Dann bedarf es nur noch einer kleinen lokalen Störung, etwa ein abruptes Bremsmanöver oder der plötzliche Spurwechsel eines Fahrers.

In der Praxis sind bei über 95 Prozent der Staus alle drei Faktoren im Spiel. Dennoch begegnen dem Autofahrer öfter scheinbare "Staus aus dem Nichts". Dabei handelt es sich um "Stop-and-go"-Wellen, die durch Störstellen ausgelöst werden und die sich, selbst organisiert, mit der universellen Geschwindigkeit von etwa 15 Stundenkilometern gegen die Fahrtrichtung auf homogene Strecken fortpflanzen. Für den Autofahrer, der einer solchen Welle entgegenfährt, erscheint er dann als unerklärlicher "Stau aus dem Nichts".

Helfen Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Verkehrsleitsysteme gegen den täglichen Stau?

Treiber: Ja, denn der Stau kann vermieden werden, wenn man die drei Zutaten, also das Verkehrsaufkommen, die stationären und die lokalen Störstellen, verringert. Das läuft auf ein generelles Prinzip der Verkehrsbeeinflussung hinaus: "Homogenisiere den Verkehrsfluss räumlich und zeitlich so gut wie möglich!"

Ich nehme das Beispiel Tempolimit: Bei Tempo 80 fahren Laster und Pkw gleich schnell. Dadurch werden abrupte Bremsmanöver durch Spurwechsel oder Lasterwettrennen überflüssig. Das verringert örtliche Störungen des Verkehrsflusses. Auch Leitsysteme können helfen: Das Verkehrsaufkommen wird gleichmäßiger auf das Straßennetz verteilt. Aber Achtung: Dynamische Verkehrsführung bedarf einer zeitnahen Erfassung der Verkehrsflusses! Ansonsten gibt es den "Peitschenschlag-Effekt". Die Autos werden erst dann umgeleitet, wenn sich auf der Autobahn der Stau aufgelöst hat und sich der Verkehr auf den Nebenstrecken umso mehr staut.

Auch durch die eigene Fahrweise kann jeder Autofahrer dazu beitragen, Staus zu vermeiden oder aufzulösen: Wenn man zum Beispiel bei Engpässen, wie etwa Baustellen, besonders aufmerksam fährt und vor allem am Ende der Engstelle zügig wieder beschleunigt. Das ist auch die einzige Möglichkeit, die der Fahrer selbst hat.

Das Interview führte Agnes Tandler, AP





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