Die Bedeutung des Wortes
Meine Aufsätze über "Die Bedeutung des Wortes", die bei ihrem ersten Erscheinen eine sehr freundliche Aufnahme gefunden hatten und fast zwei Jahre vergriffen waren, erscheinen vielseitig geäußerten Wünschen entsprechend hiermit in neuer Auflage. Inzwischen sind eine Reihe trefflicher Werke über Fragen der Bedeutungslehre erschienen, die sich ebenfalls an ein breiteres Publikum wenden und von einem regeren Interesse an diesem Stoffgebiet Zeugnis ablegen. Aber alle diese Werke - soweit sie mir bekannt geworden sind - stehen auf einem sprachgeschichtlichen Standpunkt: Der Bedeutungswandel der Wörter, das Wesen der Metapher und ihre psychologische Erklärung ist Gegenstand und Zweck der Untersuchung. Im Gegensatz dazu stehen in meinen Aufsätzen ganz andere Fragen im Vordergrund: "Was leistet die Sprache als Verständigungsmittel?" Inwiefern sind Wörter Zeichen für Begriffe, - inwieweit sind sie weniger, inwieweit sind sie mehr? Soweit ich zum besseren Verständnis sprachgeschichtliche Erscheinungen heranziehen mußte, habe ich aber auch diese näher erläutert; ohne alle Ansprüche in dieser Hinsicht etwas Eigenes und Neues geben zu können. Auch sonst enthält mein Buch sicherlich manches, was sich jeder Verständige bei einiger Besinnung selbst zu sagen vermöchte. Merkwürdigerweise kommen nur die wenigsten zu dieser Besinnung. Jede Versammlung, jede Parlamentsversammlung, jede Zeitung liefert dafür Beweise. Niemand leugnet in abstracto, daß Wörter vieldeutig und ohne klare Grenzen sind, aber keiner beachtet die Tragweite und die Folgen dieser Erscheinung. Allenthalben werden erbitterte Kämpfe geführt, die durch Erledigung einiger terminologischer Vorfragen sich ohne weiteres als gegenstandslos enthüllen würden. Diese Streitenden gleichen Naturforschern, die sich immer wieder wundern, daß ihre Beobachtungen nicht zusammenstimmen wollen, die aber nie auf den Gedanken kommen, die benutzten Mikroskope und Meßinstrumente auf ihre Fehlerquellen hin zu prüfen. Meine Ausführungen wollen gerade zu einer Untersuchung über die Leistungsfähigkeit unseres wichtigsten geistigen Werkzeugs anregen, das ununterbrochen gedankenlos benutzt, aber so selten zum Gegenstand des Nachdenkens gemacht wird. "Jeder sprachliche Ausdruck ist mehrdeutig." Wer diesen Satz aufstellt, gibt mit der Behauptung gleichzeitig ein Beispiel; denn auch das Wort "Mehrdeutigkeit" läßt sich in mehrfachem Sinne deuten. Da ist z.B. die Mehrdeutigkeit der grammatischen Form. Die Einzahl eines Dingwortes z.B. "die Pflanze" kann ebensowohl eine ganze Gattung von Lebewesen, also "jede Pflanze", wie ein Einzelwesen bezeichnen. Und das Präsens ein und desselben Zeitwortes besagt ebensowohl eine Fertigkeit, wie eine einmalige Handlung. "X spielt Klavier" kann heißen: "er versteht, Klavier zu spielen", aber auch: "er ist augenblicklich damit beschäftigt, Klavier zu spielen". Dabei bezeichnet aber das Wort spielen jedesmal denselben Begriff. In solchen Fällen kann man unter Benutzung des alten scholastischen Ausdrucks von der verschiedenen "Supposition" (lat. supponere = darunterlegen) der Wörter reden. Eine Mehrdeutigkeit andrer Art finden wir beim absoluten Gebrauch "relativer" Wörter, also bei Wörtern, die notwendig einer Ergänzung bedürfen, um einen bestimmten Sinn zu ergeben, bei denen aber in der Regel jene Ergänzung wegbleibt, weil wir sie stillschweigend aus dem Zusammenhange zu ergänzen gewöhnt sind. "Eine neue Briefmarke - kann eine ungestempelte oder eine neu angefertigte oder eine Marke von neuer Zeichnung, oder eine solche sein, die ein Sammler erst kürzlich erworben hat. Auch hier kann man nicht sagen, daß das Wort "neu" als solches verschiedene Begriffe bezeichne; nur der Zusatz, in welcher Hinsicht Neuheit ausgesagt werden soll, kann jedesmal ein andrer sein. Neu in bezug auf die Entstehung des Papieres und die Vornahme des Druckes ist nicht neu in bezug auf Zeichnung und Farbe; und Neuheit in Rücksicht auf die Benutzung ist nicht Neuheit in Rücksicht auf den Erwerb eines Sammlers. Indem man aber die Beziehung nicht ausdrücklich hinzufügt, entsteht Mehrdeutigkeit dieser zweiten Art. Die Mehrdeutigkeit im engeren Sinn - Polysemie (Vieldeutigkeit), Homonymie (Gleichlaut) - von der hier allein die Rede sein soll, liegt vor, wenn ein Wort als Name für verschiedene Begriffe dient: "Schloß" kann eine Schließvorrichtung, aber auch ein Gebäude bezeichnen; "Strauß" einen Vogel, ein Bündel Blumen oder einen Kampf bedeuten. In so einfachen Fällen freilich, wo der Sprachlaut mehr oder minder zufällig ganz auseinanderfallende Begriffe benennt, erkennt auch der Blödeste ohne weiteres den mehrfachen Sinn. Verzwickelter wird der Sachverhalt, wenn die Begriffe in nahem Zusammenhange stehen und sich größtenteils decken, so daß bei oberflächlicher Betrachtung nur ein Begriff vorzuliegen scheint. Und dieser Fall ist der typische. Man kann behaupten, daß in diesem Sinne alle Wörter - mit verschwindenden Ausnahmen - mehrdeutig sind. Welches ist z.B. der Sinn des Wortes "der Deutsche"? Jedermann versteht ja unmittelbar die Aussagen: "ich bin ein Deutscher", oder "die Deutschen siegten bei Wörth über die Franzosen". Soll aber etwa eine Karte über die Verbreitung der Deutschen in Europa angefertigt werden, und suchen wir nach objektiven Kennzeichen, die bei statistischen Aufnahmen zur Feststellung des Deutschtums der einzelnen Personen in Holstein oder Polen wirklich brauchbar wären, so tauchen sofort die größten Schwierigkeiten auf. Wir haben zwar das unbestimmte Gefühl, daß eine ganze Reihe körperlicher, geistiger und gemütlicher Eigenschaften zusammentreffen müssen, um die Bezeichnung als Deutscher zu rechtfertigen; aber erstlich werden alle Bemühungen scheitern, diese Merkmale in allgemeingültiger Weise in Worten einzufangen; und sodann wir sicher die Mehrzahl aller Personen, die sich mit Fug und Recht Deutsche nennen, von dem konstruierten Normaltypus völlig verschieden sein. Nur drei brauchbare Merkmale lassen sich allenfalls aufstellen:
Auch zwei Merkmale können fehlen: alteingesessene Bewohner Polens oder der Lausitz gehören zum Reiche, wir nur irgendein Franke oder Märker; aber ihr Typus ist rein slavisch, und als ihre Muttersprache kann vernünftigerweise nur die polnische oder wendische angenommen werden. Und ein Wiener Bürger kann zwar nur deutsch reden, aber der Abstammung nach kann er Jude, der Staatsangehörigkeit nach Österreicher sein. Wer will allen diesen Personen das Recht bestreiten, sich Deutsche zu nennen? Aber in gewissem Sinne sind sie es doch wieder auch nicht. Sie bilden - wie ich mich ausdrücken möchte - das unklare Grenzgebiet des Wortumfangs; während jene Personen, denen keinesfalls der Name Deutscher abgestritten werden kann, weil für sie alle drei der genannten Merkmale zutreffen, den Kern des Wortumfanges ausmachen. Man sagt: Worte sind Zeichen für Begriffe. Richtiger ist es wohl zu behaupten, daß Worte auch als Zeichen für Begriffe dienen müssen. Denn welche Theorien über Wesen, Bedeutung und Entstehung der Begriffe man auch vertreten mag: vom Standpunkt der Logik wird man immer fordern müssen, daß sie eine unzweideutige, klare Grenze aufweisen, daß sie einen bestimmten Inhalt und Umfang haben. Und Begriffe dieser Art werden durch Worte nicht ohne weiteres bezeichnet. Worte sind vielmehr im allgemeinen Zeichen für ziemlich unbestimmte Komplexe von Vorstellungen, die in mehr oder minder loser Weise zusammenhängen. Man könnte - wenn man den wenig glücklich gebildeten Ausdruck "Allgemeinvorstellung" vermeiden will - allenfalls von Popularbegriffen reden. Die Grenzen der Wortbedeutung sind verwaschen, verschwommen, zerfließend. Treffender aber noch wird meines Erachtens der Sachverhalt gekennzeichnet, wenn man überhaupt nicht von Grenzlinien des Umfangs redet, sondern - wie ich schon oben getan habe - von einem Grenzgebiet, das einen Kern einschließt. Veranschaulicht man sich gewöhnlich den Umfang eines logisch vollkommenen Begriffs durch eine scharfe Kreislinie, wie sie annähernd ein gutgespitzter Bleistift erzeugt, so kann man sich die Abgrenzung eines Wortumfanges durch einen mehr oder minder breiten, in sich zurücklaufenden Streifen versinnlichen, wie ihn ein in Farbe getauchter Pinsel auf einer Fläche hinterläßt. Den Kern denken wir uns dann alle diejenigen Dinge oder anderen Vorstellungen enthaltend, denen unter alle Umständen die Benennung durch das fragliche Wort zukommt, während wir dem Grenzgebiet alle diejenigen Vorstellungen zuweisen, denen man die Benennung sowohl zu- wie absprechen kann. Die äußerste Kontur des Grenzgebietes stellt dann den heute üblichen Begriffsumfang der Wortbedeutung dar, der alle Fälle umfaßt, in denen das Wort überhaupt vernünftigerweise Anwendung finden kann. Nun erscheint es wohl am einfachsten, das Auftreten des Grenzgebietes darauf zurückzuführen, daß ein Wort nicht einen, sondern gleichzeitig mehrere Begriffe bezeichne, die wohl teilweise sich decken und daher ein gemeinsames Gebiet haben, die aber im Grunde doch ebenso verschieden seien, wie andere sich kreuzende Begriffe, die verschiedene Namen tragen. Es ließen sich also aus dem Worte der Deutsche drei verschiedene Begriffe herauslesen, für die nunmehr nur je ein Merkmal maßgebend wäre und die man umständlicher aber genauer als "Angehörige des Deutschen Reichs" als "Rasse-Deutsche" und als "deutsch Redende" bezeichnen könnte. Sieht man aber näher zu, so findet man, daß es sich mit diesen Teilbegriffen genau so verhält, wie mit dem Worte "der Deutsche" schlechthin. Auch sie sind keine Begriffe im Sinne der Logik, sondern nur Popularbegriffe. Auch sie haben ein unbestimmtes Grenzgebiet; auch sie lassen sich wieder in eine Reihe übereinanderlagernder Begriffe auflösen. Der erste Begriff freilich, der des Reichsdeutschen, kann durch das Reichsgesetz vom 1. Juni 1870 als festbegrenzt angesehen werden. Wer aber soll der Abstammung nach als Deutscher gelten? In dem Augenblicke, da man schärfere Kriterien aufzustellen sich bemüht, taucht auch das Problem vom Ursprung der Arten und Gattungen mit allen seinen Rätseln auf. Angenommen jedoch, es sei möglich zu bestimmen, welche Individuen rein deutscher Abstammung seien, als was sollen dann jene gelten, die einen Nichtdeutschen als Vorfahren haben, etwa unter den Eltern, oder den Großeltern, oder den 16 Ahnen? Will man etwa nur die beiden letzten Generationen als ausschlaggebend erachten, so muß man auch Personen von ganz unverkennbarem jüdischen oder slavischen Typus als Rasse-Deutsche anerkennen. Will man aber den Stammbaum der Individuen durch eine ganze Reihe von Generationen zurückverfolgen, so sieht man sich bald genötigt zu erklären, mehr als neun Zehntel aller sogenannten Deutschen seien keine Deutschen. Auch der deutsche Kaiser wäre es ebensowenig wie die Mitglieder der übrigen deutschen Fürstenhäuser. Will man aber verwickeltere Kriterien aufstellen und etwa eine Vermischung Deutscher mit Engländern oder Skandinaviern anders beurteilen als ein mit Romanen oder Sklaven; eine Vermischung mit Ariern wieder anders als eine solche mit Semiten; oder will man auch das Aussehen, insbesondere Gesichtsform mit als Merkmale heranziehen und sie auf einigermaßen greifbare anatomische Kennzeichen zurückführen, so verliert man sich schließlich ins Bodenlose. Auf jeden Fall ergibt aber eine solche Überlegung, daß der Umfang des Wortes Deutscher (auch im Sinne des schon spezialisierten Begriffs des Rasse-Deutschen), wie er tatsächlich in der lebendigen Sprache und im Schrifttum gebraucht wird, nur durch einen breiten, sehr fragwürdigen Grenzstreifen angegeben werden kann. Eine schärfere Begrenzung ist zwar möglich und oft auch notwendig, aber immer willkürlich und je nach den Zwecken, denen das Wort dient, auf sehr verschiedene Weise. Und so ist die Zahl der übereinanderlagernden Begriffe, die alle durch das nämliche Wort Deutscher bezeichnet werden, ganz unbestimmt groß. Nach diesem Beispiel, das durchaus als Typus gelten kann, läßt sich die Begrenzung einer Wortbedeutung bildlich durch ein Netz von Linien darstellen: auf dem Grenzgebiete, das als Hauptgrenze den Kern einschließt, verlaufen mehr oder minder zahlreiche Untergrenzen, die zum Teil ebenfalls Grenzgebiete aufweisen, auf denen wieder Untergrenzen zweiter Ordnung sich befinden. Häufig setzt sich dieser Gliederungsvorgang noch weiter fort, so daß sich Untergrenzen dritter und höherer Ordnung nachweisen lassen. Indem aber alle diese Grenzen Sonderbedeutungen einschließen, die in der Regel durch ein und dasselbe Wort bezeichnet werden, entsteht jene Vieldeutigkeit, von der wir reden. Die Grenzen selbst sind natürlich nicht immer allgemein anerkannt; sie können auch nur bei einer Gruppe von Personen, z.B. Fachgelehrten, gebräuchlich oder endlich rein individuelle sein. Andrerseits müssen ihrem Ursprunge nach unterschieden werden: Grenzlinien, die im volkstümlichen Sprachgebrauch unabsichtlich entstanden sind, und solche, die wissenschaftliche oder staatliche Autoritäten durch ausdrücklich formulierte Definitionen mehr oder willkürlich erzeugt haben. Selbst innerhalb einer einzige Wissenschaft und zur selben Zeit kann die Zahl der Sonderbedeutungen wichtiger Fachausdrücke verwirrend groß sein. In der Nationalökonomie wird - wie ein neuerer Forscher behauptet, das Wort Wert in siebzehn verschiedenen Bedeutungen gebraucht. Nicht viel besser steht es mit dem Worte Kapital . Und in der Philosophie scheint es fast Regel zu sein, daß gerade für die wichtigsten Grundbegriffe Worte in Anspruch genommen werden, für die zwar relativ bestimmte aber doch zahlreiche Grenzen vorhanden sind. Man denke an Worte wie Form , Substanz , Erfahrung . Besonders vieldeutig ist Vorstellung . Die einen rechnen die unmittelbaren Sinneseindrücke, die "Wahrnehmungen" oder "Anschauungen" zu den Vorstellungen. Andere wollen nur die "Reproduktion", die "eingebildeten" Vorstellungen mit diesem Namen belegt wissen. Einige verknüpfen mit dem Worte erkenntnistheoretische Voraussetzungen: das Ding ist von seiner Vorstellung streng geschieden; andere wollen dies gerade vermieden wissen usf. Viel schwieriger sind natürlich die Sonderbedeutungen eines Wortes festzustellen und auseinanderzuhalten, die außerhalb der Wissenschaft im volkstümlichen Sprachgebrauch unbewußt entstanden sind. Aber auch hier ergibt eine sprachliche Analyse und Vergleichung oft ziemlich scharf getrennte Begriffe, wo man auf den ersten Blick ein eindeutiges Wort vor sich zu haben glaubt. Sind die Beziehungen zwischen den Sonderbedeutungen eines Wortes sehr eng und geläufig, dann kommt wohl den meisten die Mehrdeutigkeit des Ausdrucks in abstracto gar nicht zum Bewußtsein. Man frage irgendeinen jener zahlreichen Gebildeten, die die eigene Sprache nur selten zum Gegenstand des Nachdenkens machen, ob ein Wort wie Zeichnung ein- oder mehrdeutig sei. Man wird in der Regel hören, es habe einen einfachen Sinn, so auffällig auch die Tatsache ist, daß - wohl in allen Kultursprachen - die sog. Nomina actionis nicht nur eine Tätigkeit, sondern auch das Resultat dieser Tätigkeit bezeichnen. Zeichnung heißt "das Zeichnen", aber auch "das Gezeichnete", Behauptung "Das Behaupten", aber auch "das Behauptete". Übrigens ist das Ergebnis der Tätigkeit meist nicht das direkte Objekt, sondern ein erreichter Zustand, wie bei Ordnung, Betäubung, Bildung, Erleuchtung usf. In den drei Sätzen:
Die große Zahl der hier leicht anzuführenden Fälle darf übrigens nicht dazu verleiten, eine allgemeine Regel aufzustellen und etwa zu behaupten, im Deutschen bezeichneten alle Wörter auf ung einmal eine Handlung und das andere Mal das Resultat dieser Handlung. Das ist keineswegs richtig. Regierung besagt in übertragener Bedeutung nicht das Objekt, sondern das Subjekt des Regierens. Kleidung kann man unmöglich das Ergebnis des Kleidens, sondern nur das Mittel des Kleidens nennen. Kurz, die Beziehungen zwischen eigentlicher und uneigentlicher Bedeutung sind selbst für dies eng umgrenzte Wortklasse viel reicher, als daß sie durch eine kurze Formel erschöpft werden könnten. Auch gibt es ja Nomina auf ung , die nur eine Tätigkeit bezeichnen und in übertragender Bedeutung nicht gebräuchlich sind, obwohl kein Grund dafür ersichtlich ist, z.B. Erpressung, Beraubung, Erneuerung ; wohingegen Neuerung wieder zweideutig ist. Im Gegensatz zu diesen Fällen ist in anderen der Zusammenhang zwischen ursprünglicher und abgeleiteter Wortbedeutung oft sehr lose und oft schwierig festzustellen. Genügt es doch, daß zwei Gegenstände irgend einmal in örtlicher oder zeitlicher Gemeinschaft bestanden haben, damit der Name des einen auf den anderen übergehen kann. So hat das lateinische Wort moneta (monnaie, money, Münze) diesen Namen von der "Mahnerin" JUNO, der Juno Moneta , weil der Tempel dieser Göttin einmal im alten Rom in der Nähe einer Münzstätte sich befand. Bei der eigentlichen Metapher, dem "Wortbild", pflegt man die Beziehung zwischen den beiden Begriffen als "Ähnlichkeit" zu kennzeichnen. Aber diese Ähnlichkeit ist oft sehr wenig greifbar und kaum objektiv zu analysieren. Neben der äußeren Gestalt ist oft nur die Lage oder die Art der Bewegung oder eine Funktion für die Übertragung maßgebend. Man denke etwa an die sehr verschiedenen Bedeutungen von Flügel . Nur das mit diesem Ausdruck benannte Klavier hat mit der Grundbedeutung, dem Vogelflügel, noch eine gewisse Ähnlichkeit der äußeren Gestalt. Aber für die Flügel einer Tür, eines Fensters, einer Windmühle kommt diese Ähnlichkeit kaum mehr in Betracht; nur die Gleichartigkeit der Bewegung hat wohl die Benennung veranlaßt. Die Flügel einer Nase, eines Heeres, einer Lunge haben mit den Vogelflügeln nur noch das gemeinsam, daß sie symmetrisch gelagerte Teile eines Ganzen sind. Schließlich können aber auch diese Merkmale des doppelten Vorhandenseins und der symmetrischen Lagerung wegfallen, wenn man etwa von "dem" Flügel eines Gebäudes spricht. Die ganze Ähnlichkeit mit dem Vogelflügel reduziert sich hier darauf, daß in beiden Fällen ein Seitenteil einem Ganzen zugehört. Spricht man schließlich gar von geistigen Flügeln , von Flügeln des Gesanges , von Flügeln der Liebe , sagt man von einem Übermütigen, es müßten ihm die Flügel beschnitten werden , oder er ließe die Flügel hängen , so beruht der Zusammenhang dieser Bedeutungen mit der ursprünglichen nur auf sehr dunklen, durch das Gefühl vermittelten Assoziationen. Sehr disparat sind auch die durch denselben Ausdruck bezeichneten Begriffe in der bekannten Gruppe von Metaphern, die geistige Tätigkeiten oder seelische Zustände durch materielle Vorgänge zum Ausdruck bringen. Es ist heute kaum mehr möglich die Beziehungen zu den Grundbedeutungen lebendig aufzufassen, wenn wir von Vorstellungen, Einsichten, Abneigungen reden, vom Begreifen, Fassen, Erwägen eines Gedankens, von niedergedrückter, gerührter, trüber Stimmung, übersprudelnder Laune, Schärfe des Geistes, Weichheit des Gemüts, Zerrissenheit des Herzens, von Verworfenheit oder Niedrigkeit der Gesinnung, von aufgeblasenem, schneidigem, schwankendem Wesen. Aber noch viel kühner sind die Metaphern, wenn umgekehrt der Ausdruck für Immaterielles oder ganz Abstraktes auf das Materielle oder Konkrete übergeht. Man denke an Weingeist oder Spiritus . Selbst der abstrakteste Ausdruck, den es gibt: essentia , das ist Sein und Wesen aller Dinge, konnte auf Grund alchemistischer Theorien zum Namen der wohlriechenden Essenzen der Drogisten werden. Daß schließlich derselbe Sprachlaut Begriffe bezeichnen kann, die auch nicht den allergeringsten Zusammenhang mehr aufweisen, erklärt sich leicht aus der Tatsache, daß es Übertragungen von Übertragungen gibt, daß sich die Bedeutungen in der mannigfaltigsten Weise verzweigen, und daß überdies in der Kette einer Bedeutungsentwicklung einzelne Glieder außer Gebrauch kommen können. Geht der Name eines Begriffes A auf einen Begriff B und von B auf einen dritten C über, so muß wohl jeder mit dem folgenden noch irgendwelche gemeinsame Elemente haben, nicht aber der erste mit dem letzten. |