Vom Bild zum Bildchen

Überlegungen zum Sieg des Icons, dem Bild der Jahrtausendwende, und zum Verschwinden der Bilder im Internet

Hubert Burda gab neulich zu Protokoll, daß seit Gutenberg mit der Erfingung des Buchdrucks die Logik, also unsere rechte Gehirnhälfte gefordert sei. Nun bringe das Internet – Stichwort Multimedia – die Bilder wieder zu den Texten, »und so weckt die digitale Revolution wieder die Phantasie in der linken Gehirnhälfte« (Hubert Burda, Tycoon. Wie der Verleger und Schöngeist für die digitale Revolution und gegen den Schatten seines Vaters kämpft, in: Zeit-Magazin, Nr. 32, 2.8.96, 16-21, hier 16).

Die Rückkehr der Bilder ist meines Erachtens ein frommer Wunsch der Multimedia-Gemeinde, die, angestachelt von einigen werbekräftigen Hard- und Softwarevertreibern, gerne am Computer sitzt und sich mit schönen Bildern, Tönen und animierten Illustrationen die Zeit vertreiben möchte. Vorbei seien die Zeiten des häßlichen nur blauen oder schwarzen Bildschirms, auf dem sich nur Zeichen und Worte tummelten und die findige Internet-Gemeinde nach dem Motto verfuhr: die Lösung ist stets schon parat, aber es fehlt das Problem. Das Internet war ursprünglich ein auf schriftliche Kommunikation zugeschnittenes Informationsmedium. Dann wurde es zum Hype einer neuen Generation, die nicht nur schriftlich kommunizieren wollte und, neben flotten Sprüchen und Zeichen, die man Smileys ;-) nennt, auch Bilder in das neue Medium inserieren wollte. Parallel dazu verloren die Bilder der Künstler an Bedeutung, Concept Art und Happenings lösten die Leinwandbilder ab. Und wiederum parallel dazu entdeckten Künstler in den neuen Medien ein Potential bildkünstlerischer Aussage. Allen voran vielleicht Nam June Paik, der sich einen Techniker engagierte und ihm die Inhalte seiner »Bilder« diktierte, der Künstler also nur noch Entwerfer, der Techniker realisierte alles. Aber in dieser Künstlergeneration waren die Bilder Feinde. Sie standen nicht für Demokratie und Multimedia, sie standen für Ausbeutung und Massenkonsum. Sie waren die Geißel der Nation(en), und so galt es, sie zu stören oder zu zerstören, zu verfälschen oder zu pervertieren.

In dieser Zeit emigrierten die schönen bunten Bilder in die Werbung. Und als das Internet wichtig wurde, entdeckte man dort auch die – theoretische – Möglichkeit, Bilder »in den Server zu stellen«. Die Hardware- und Softwareausstattung des Großteils der Bevölkerung besteht aus Computer, Modem und Internetsoftware, sogenannten Browsern. Mittels des Modems wählt man sich über einen Provider oder sogenannte online-Dienste ins Internet ein, um dort Informationen einzusehen oder zur Verfügung zu stellen. Findige Verkäufer erfanden Multimedia, das online-Hören, -Sehen, nur mit dem -Riechen hapert es noch. Der Tip, wie man am besten seine Soundcard installiert, kommt nicht mehr per Post vom Hersteller, sondern ist von XY online abrufbar, und damit es dem Kunden nicht zu langweilig wird, werden ihm files, also Datensätze, mitgeliefert, die er zwar nicht braucht, die aber cool oder hype sind: Töne und Bilder. Multimedia ist geboren. So ist nahezu jede Information im Internet, egal, ob sie von Kuchenrezepten oder von Jungle-Hits handelt, von solchen files begleitet. Einmal piepsen sie den an, der der stolze Besitzer einer Soundcard ist, ein andermal erfreuen sie das Auge des stolzen Inhabers eines 17 Zoll Monitors mit aberundaberhundertmillionen Farben.

Sind das Bilder? Nein, es handelt sich um Icons. Icon ist der Name für ein Zeichen oder einen Komplex von Zeichen, mehr nicht. Icon ist ein Zeichen für ein Bild, aber es handelt sich nicht um eines, und so sehen die Icons auch aus, als würden sie von einem Comic oder von einer Zeichnung bzw. Skizze abstammen. Andere scheinen von Softwareherstellern wie Microsoft oder Konkurrenten generiert zu sein, und so findet man auf hunderten von Homepages im Internet ein immenses Angebot von Smileys <:-)) und Icons .

Beinahe jeder Handgriff auf dem Computer, also jeder Befehl, konnte durch ein Icon vertreten werden. So hilft auf einer Computeroberfläche ein Icon wie oder wie , umständliche Befehle und Vorgänge zu vereinfachen. Mußte man früher sämtliche Anwendungen schließen und einen Befehl per Buchstabenkombination eingeben, so übernimmt das heute das Icon. Und morgen, so will Bill Gates wissen, wird mit Hilfe von Icons gebügelt oder ferngesehen, denn der gesamte Haushalt sollte nach seiner Vorstellung computerisiert oder komputiert werden. Wer dann oder eingibt, wird einen Kaffee oder etwas zu essen erhalten. Wer oder bzw. auf seinem homescreen sieht, der muß zum schreienden Kind oder den Hund bzw. die Katze spazierenführen. In Einkaufszentren der werden die Geschäfte nicht mehr nach Namen oder Inhalten, sondern als Icon, sei es der Schriftzug oder ein Zeichen, repräsentiert.

Nur die Werbebranche hat längst verstanden, daß ein gutes Logo mehr wert ist als die Inhalte, die hinter dem Unternehmen stehen. Daß das der Großteil der *Bilder* ist, die man im Internet sehen kann, möchte ich im folgenden zeigen.

Sucht man unter Kunst oder Künstler nach, so könnte man irgendwann zu Gerfried Stocker, dem neuen Macher der ars electronica in Linz kommen (http://gewi.kfunigraz.ac.at/x-space/ theyears.html). Der Künstler ist schon lange im Internet tätig und nutzt das neue Medium dazu aus, akustische, optische oder konzeptuelle Werke zu generieren. Seine homepage nutzt der Künstler zur Selbstdarstellung, das heißt, er beschreibt seine Werke. Anders geht es ja nicht, denn sie sind zum größten Teil konzeptionell. Stellvertretend für jedes Werk oder jede Werkgruppe führt Stocker ein Icon, und das Gesamtprodukt ist eine Art von »Bildteppich« (bestehend aus Schriftfeldern und Icons), die vom berühmten (Bild-) Teppich von Bayeux genauso weit entfernt ist, wie ein Taschenventilator von einem Großrechner. Sein Bildteppich ist eine Ansammlung von Icons, wie wir sie für ein Einkaufszentrum kennen.

Die Künstlerin Elisa Rose (Station Rose) bietet ihre Produkte, Texte, Sounds, CDs und Icons unter dem Titel »Icons, Morphs & Samples« an (http://www.well.com/user/gunafa/products.html). Texte und Icons sind wie in einem Menü geordnet, und alles funktioniert als Link! Die Reihe könnte lange fortgesetzt werden.

Aber sehen wir uns die anderen Bilder an, sofern wir das überhaupt können. Denn der mit Modem bewehrte Bildersucher wird eines zuerst lernen: er braucht Geduld, Geduld, Geduld. Einige Stunden wird es sogar nachts dauern, bis der Surfer ein Bild lädt, tagsüber möchte man oft verzweifeln, wenn ein Bild 10 oder 30 Minuten zu laden dauert. Welche Bilder bekommt man denn zu sehen? Es sind überwiegend Icons oder computergenerierte bzw. abphotographierte Bildchen in teilweise mieser Qualität und Auflösung, sowohl künstlerischer Art, wie in der Qualität.

Jede Illustrierte am benachbarten Kiosk enthält bessere Photos, und wollte man diese »Bilder« in einem Computer laden, so benötigte man dazu Wochen! So drängt sich der Verdacht auf, der Siegeszug der Icons sei zum Gutteil eine Sache der technischen Grundlagen ihrer Vermittlung. Oder umgekehrt: Wenn die Leitungen im Internet nicht bald verbessert werden, wird kaum noch jemand Bilder laden wollen. Kleine, wenig differenzierte Bildchen sind hingegen zehn- oder hundertmal schneller zu laden, als komplexe bildliche Strukturen.

Das Medium diktiert das Charakteristikum seiner Werke!

Viele dieser Bildchen im Internet stehen für etwas anderes als ein Bild, sie sind oft nur etwas Banales wie eine Information. Klickt man sie mit der Maus an, so verflüchtigen sie sich und geben etwas völlig anderes frei, was überhaupt nichts mit ihrer Bildlichkeit zu tun hat. Sie vertreten nur einen anderen Inhalt, nicht sich selbst. Es bleibt daher zu konstatieren, daß das Icon das bisherige oftmals Bild ersetzt. Dies erfolgte zum Teil aus technischen Gründen; aber man wird auch künstlerische Überlegungen annehmen dürfen. Das Ende der Bildkünste geht einher mit dem Sieg des Icons. Zehn oder zwanzig Jahre nach dem Siegeszug der graphischen Oberflächen, die praktisch alle Plattformen und Betriebssysteme erobert haben, ist das Icon zum Bild der neunziger Jahre und wahrscheinlich auch der Jahrtausendwende mutiert. Das Icon emuliert nicht nur bestimmte Befehle, es steht für die gesamte Welt der Computerbenutzer und damit auch der Rezipienten des Internets. In der Gesamtheit der Web-Seiten und im unüberwindlichen Dschungel der Information bildet das Icon neben seiner Befehls- und Link-Funktion vor allem diejenige des eye-catchers. Als ein solcher eye-catcher steht das Icon stellvertretend für Befehle, Links und Inhalte, indem er Texte begleitet und Textstrukturen markiert. Bilder werden weder gewünscht noch gebraucht. [...] Wie sehr das herkömmliche Bild nur noch eine nur untergeordnete Rolle spielt und sich hingegen das Icon vermehrt, möge ein Blick in die neue Welt von Compu Serve, WorldsAway, veranschaulichen. Das, was bisher eine individuelle Person, eine Sache, eine Institution oder ähnliches vertrat, bekommt nun ein Icon verpaßt. Betritt man die Welt von Compu Serve, so stellt man sich aus der Summe der vorgegebenen und zur Verfügung gestellten Icons eine neue Identität zusammen. Eine andere Optik zu erhalten, als die der vorgegebenen Formen und Individualisierungsmuster ist nicht möglich. Das, was in früheren Zeiten Künstler beschäftigte und Bildgattungen wie etwa das individualisierende Porträt hervorbrachte, ist auch hier obsolet. Letztlich läuft WorldsAway nur deswegen – und ist, nebenbei bemerkt, auch so erfolgreich –, weil alles iconisiert wird. Bill Gates, der so oft den Finger am Puls der Zeit hat, läßt grüßen. Wenn sich herausstellen sollte, daß die Iconisierung des Webs nicht nur wegen der technischen Limitierung erfolgte, sondern eine innovative und äqulvalente künstlerische Strömung darstellt, so wäre das das Ende einer mehrere tausend Jahre dauernden Tradition. Natürlich ist das kein Grund zur Beunruhigung. Doch darf nicht vergessen werden, daß mit der Iconisierung der Kunst einhergeht, daß der Mensch im schnellen und flüchtigen Leben nur noch auf Zeichen reagiert, er kann keine Bilder mehr sehen – im wahrsten Sinne des Wortes. Das heißt, er verliert nun auch den Sinn für komplexe sinnliche und optische Gebilde und damit verbundenen Gedankengängen. Indes gibt es Kunst und Künstler im Internet, aber sie bedienen sich des Mediums Bild nur am Rande. Ihr Medium ist immer noch die Sprache, in der sie das Konzeptionelle ihrer Werke am besten zum Ausdruck zu bringen vermögen. Die Bildkünstler bedienen sich eines anderen Mediums, denn sie wissen längst, daß das Internet in einigen Monaten oder Jahren so mit Bildchen und Multimedia-files zugemüllt sein wird, daß ihr Botschaft im Chaos der Informationen steckenbleiben wird.

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