47 Jahre lang stand Fidel Castro, der Führer der kubanischen Revolution, ununterbrochen an der Spitze Kubas - ein Ende seiner Regentschaft schien nicht in Sicht. Über 600 Attentaten auf sein Leben hat er nach eigenen Angaben getrotzt. Doch wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag musste der Commandante seine Macht vorübergehend an seinen 75 Jahre alten Bruder Raúl abgeben. Das führte weltweit zu Spekulationen. Heute.de sprach mit dem Politikwissenschaftler und Kuba-Kenner Bert Hoffmann über die derzeitige Gefühlslage der Kubaner, den Mythos Fidel und darüber, was nach dem Tod des "Máximo Líder" in Kuba geschehen könnte.
heute.de: Herr Hoffman, stehen wir kurz vor dem Ende der Ära Fidel Castro?
Bert Hoffmann: Das wäre ein voreiliger Schluss. Natürlich könnte es sein, dass er stirbt. Aber viel wahrscheinlicher ist, dass er in einigen Monaten zurück ist und - wenn auch geschwächt - die Amtsgeschäfte wieder übernehmen wird. Vielleicht wird er einige formale Kompetenzen abgeben, aber so lange er lebt, wird er die letzte Instanz im Land bleiben.
heute.de: Was ist von der Übergangsregentschaft durch seinen Bruder Raúl, der als Hardliner gilt, zu erwarten?
Hoffmann: So lange die Erwartung im Raum steht, dass Fidel Castro wiederkommt, wird die gesamte Führungsspitze sich so verhalten, wie Fidel selbst es tun würde. Niemand will riskieren, dass er bei seiner Rückkehr ins Amt sagt: "Was habt ihr denn da gemacht." Die Welt wird mit Raúl zunächst eine Fidel-Simulation erleben.
heute.de: In den USA haben Exil-Kubaner die Nachricht von Castros Krankheit mit Autokorsos gefeiert. In Kuba waren zurückhaltende Reaktionen zu beobachten. Wie fühlt sich die kubanische Bevölkerung in diesen Tagen?
Hoffmann: Die Kubaner warten ab, was passiert. Sie stehen ihrem Regierungschef sehr ambivalent gegenüber. Einerseits hat jeder Kubaner eine hohe biografische Identifikation mit dem Máximo Líder. In fast jedem Haushalt gibt es ein Bild von ihm, und jeder war in der Pionierorganisation. Andererseits sind alle sehr unzufrieden damit, dass sich kaum etwas bewegt im Land. Aber die Kubaner sind in einem gewissen Sinne unpolitisch geworden, weil es keine politische Alternative gibt. Für sie ist Fidel zu einer fast so großen Selbstverständlichkeit geworden wie die Tatsache, dass Kuba eine Insel ist.
Der Politologe Dr. Bert Hoffmann ist am Institut für Iberoamerika-Kunde des GIGA German Institute of Global and Area Studies in Hamburg tätig. Er beschäftigt sich seit Jahren mit den politischen, sozialen und ökonomischen Entwicklungen in Kuba.
heute.de: Also würden die Kubaner ihren Staatschef vermissen, sollte er sterben?
Hoffmann: Wie kann man etwas, das 47 Jahre das Leben geprägt hat, nicht vermissen - im Guten wie im Schlechten? Mit der Zeit nach seinem Tod verbinden die Kubaner Ängste und Hoffnungen. Eine Zeit ohne Fidel Castro ist für sie immer kaum vorstellbar gewesen. Doch nun hat sein zwischenzeitlicher Abtritt sie daran erinnert, dass eine solche Zeit kommen wird.
heute.de: Was wird denn nach Fidel Castros Tod in Kuba geschehen?
Hoffmann: Kurzfristig wird dann auf jeden Fall wieder Raúl Castro die Führung übernehmen. Doch nach einiger Zeit würde sicherlich ein Gerangel hinter den Kulissen beginnen. Dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen im Land kommt, ist nicht völlig auszuschließen.
Aber vor so einem Szenario haben in Kuba alle Angst, egal auf welcher Seite sie stehen. Zu einem Bruch mit dem bisherigen System wird es kurzfristig jedoch nicht kommen. So lange die Konfrontation mit den USA von beiden Seiten weiterhin so kompromisslos geführt wird, haben die Eliten und auch die einfachen Leute im Land viel zu verlieren. Die Luft für einen Reformprozess aus dem Inneren heraus ist dann dünn.
heute.de: Aber noch lebt Fidel Castro und besonders herzliche Genesungswünsche kamen von dem bolivianischen Präsidenten Evo Morales und dem Präsidenten von Venezuela, Hugo Chávez.
Hoffmann: Morales und Chávez haben noch nie einen Hehl aus ihrer großen Sympathie und Bewunderung für Fidel Castro gemacht. Beide Politiker wollen den Staffelstab von Castro übernehmen, denn der kubanische Staatschef genießt innerhalb der ganzen Linken Lateinamerikas ein großes Prestige. Chávez und Morales hoffen, dass etwas von seinem Glanz auf sie abstrahlt. Wer von Fidel als Erbe inthronisiert wird, der hat großes Potenzial eine symbolische Führerrolle innerhalb ganz Lateinamerikas einzunehmen.
heute.de: Fidel Castro ist zwar ein kommunistischer Diktator - aber die Reaktionen auf seine Krankheit zeigen, dass er weltweit auch viel Sympathie genießt . Wenn man Stalin als das hässliche Gesicht des Kommunismus bezeichnet, wie würden Sie das von Fidel Castro nennen?
Hoffmann: Castro ist das charismatische Gesicht des Kommunismus. In Osteuropa war der Kommunismus geprägt von alten Männern, die in eine Bürokratiemaschine eingebunden waren. Castros personalisierter Führungsstil ist dynamischer. Wenn er eine Idee hat, muss sie so schnell wie möglich umgesetzt werden. Das hat natürlich Nachteile, aber mit dieser Dynamik ist Castro einer Erstarrung wie in Osteuropa immer erfolgreich davon gelaufen.
heute.de: Che Guevara ist auf der ganzen Welt ein Mythos. Wird Fidel Castro ebenfalls zur Ikone werden, wenn er gestorben ist?
Hoffmann: Die beiden sind schwer zu vergleichen. Che Guevara hat ein großes Utopie-Potenzial, denn er war nur kurze Zeit in formellen Ämtern tätig und viel mehr der ewige Rebell. Fidel Castro ist dagegen der am längsten regierende Staatchef der Welt. Und dazu noch einer, der den mächtigen USA die Stirn geboten hat. Er zieht andere Projektionen auf sich: Wenn Che die utopische Symbolfigur war, dann ist Fidel die Symbolfigur der Realpolitik. Doch ohne Zweifel ist auch Fidel längst eine Art politischer Popstar, eine Ikone jenseits aller Ideologien. Ihn umweht schon zu Lebzeiten der Mantel der Geschichte.