Der Heilige Gral und die
geheime Botschaft der Namen
Von
In den Gralsdichtungen verraten die Namen der
handelnden Personen, dass im
Gralsmythos
Reste einer heidnischen Fruchtbarkeitsreligion enthalten sind
Was ist der Gral ?
Der Gral ist
ein Objekt des Aberglaubens. In der Vorstellungswelt des Mittelalters ist der
Gral ein mit der göttlichen Kraft Christi „aufgeladener“ Gegenstand. Der Gral
gehört in die Kategorie der Reliquien, und diese sind verwandt mit den
heidnischen Talismanen und Fetischen. Der Heilige Gral ist der Kelch, den
Christus beim letzten Abendmahl benutzte, oder das Blut des gekreuzigten
Christus, oder auch beide zusammen, wenn der Kelch das Blut Christi enthält. Es
gibt aber noch andere Ansichten darüber, was der Grals
ist (davon weiter unten).
Eine durch
Dan Brown’s Roman „Sakrileg“ viel beachtete Deutung
besagt, daß der Gral das Blut Christ in dem Sinne
ist, dass unter „Blut“ die Blutverwandtschaft, also die Abstammung von Jesus
gemeint sei. Der eigentliche Gral sei also das königliche Blut, das in den
Adern der Nachfahren des Königs der Juden fließe. Damit greift Dan Brown die
These von Baigent, Leigh und Lincoln (in „Der Heilige
Gral und seine Erben“) auf, dass der Heilige Gral (San Gral) das „sang real“,
das königliche Blut Christi sei, das sich über seine Kinder, die er mit Maria
Magdalena hatte, bis zur fränkischen Dynastie der Merowinger
weitervererbt hätte. Die Merowinger haben aber meines
Wissens nie den Anspruch erhoben, von Jesus (und damit von Gott selbst) abzustammen.
Das Buch von Baigent, Leigh und Lincoln ist
Unterhaltungsliteratur, bestenfalls Geschichtsspekulation. Allerdings muß man ihnen in einem Punkt recht geben: Warum sollte
Jesus keinen Freundin oder Frau gehabt haben ? Vom
katholischen Zölibat wusste man zu seiner Zeit nichts, und Jesus war kein
katholischer Priester, sondern ein frommer Jude, dem es sehr wohl anstand,
verheiratet zu sein.
Eine weitere
Version des Gralsglaubens besagt, daß es sich um
einen Meteor oder um einen Edelstein handelt, den „Stein der Weisen“.
Für die
mittelalterlichen Gralsgläubigen von besonderem Interesse waren die Wunder- und
Heilkräfte des Grals. Man glaubte, dass er Krankheiten heilen, sowie Macht,
Reichtum Wissen und sogar das ewige Leben schenken könne. Interessant war für
die Gläubigen die Frage: Wer besitzt den Gral und wer ist befugt und in der
Lage, die Kräfte des Grals anzuwenden ? Und
schließlich: Wie könnte man an diese im Gral wirksame göttliche Kraft
herankommen und sie zum eigenen Vorteil nutzen ? Da
lag es nahe, auf die Suche nach dem Gral zu gehen, also eine „quest“ zu unternehmen, wie sie in Romanen und Ritterepen ( www.koinae.de/gralsliteratur.htm
) beschrieben wird. Diese Dichtungen handeln von Parzival und von
den Rittern der Tafelrunde des Königs
Arthur. Die meisten dieser Werke entstanden in Frankreich und England in der
Zeit zwischen 1170 und 1240. Im deutschen Sprachraum griff Wolfram von
Eschenbach das Thema auf (in seinem „Parzival“). Nicht zu vergessen ist auch
die Oper von Wagner „Parsifal“.
Die
Gralsgeschichten sind zur Zeit der Kreuzzüge und der christlichen
Wiedereroberung des maurischen Spanien entstanden. Die Gralsburg ist (nach
Michael Hesemann) das am Rande der spanischen
Pyrenäen gelegene burgartige Kloster San Juan de Pena.
Natürlich
gibt es mehrere Kelche und Schalen, von denen behauptet wird, das von Jesus und
seinen Jüngern beim Heiligen Abendmahl benutzte Trinkgefäß zu sein. Nach
Michael Hesemann („Die Entdeckung des Heiligen Grals“)
ist der in der Kathedrale von Valencia (Spanien) aufbewahrte „Santo Caliz“ der wirkliche und richtige Abendmahlskelch. Es
handelt sich dabei um einen Achatbecher von schlichter Eleganz, der von einem
mittelalterlichen Goldschmied auf einem mit zwei Henkeln versehenen Untersatz
befestigt wurde. In diesen Untersatz ist als Standfuß eine Achatschale
eingearbeitet, die angeblich beim Letzten Abendmahl zum Servieren von Fischen
benutzt wurde.
Die Ritterdichtungen geben
unterschiedliche Auskunft darüber, was der Gral eigentlich ist. Bei Wolfram von
Eschenbach ist der Gral ein Stein, der vom Himmel fiel („lapis
exilis“, d.h. „lapis ex coelis – Stein vom Himmel“), also ein Meteorstein - ähnlich
wie der in der Ostseite der Kaaba von Mekka eingemauerte schwarze Stein. Ein
Stein also, der mit der Kraft des Himmels aufgeladen ist, der Stein der Weisen,
der Wissen und Macht verleiht und der aus Blei Gold machen kann.
Für andere ist der Gral
eine Schale, in welcher das Blut des gekreuzigten Christus aufgefangen wurde,
nachdem der römische Soldat Longinus seine Lanze (die Heilige Lanze) in die
Seite Christi stieß, um zu überprüfen, ob der Gekreuzigte schon tot sei. Oder
der Gral ist der Kelch, aus dem Christus und seine Jünger beim letzten
Abendmahl tranken. Jesus reichte den Kelch mit den Worten: „Dies ist mein Blut,
das für euch vergossen wird“. Der eigentliche Gral wäre demnach das Blut
Christi.
Am plausibelsten ist, daß „Gral“ oder „Graal“ einfach
nur Kelch, Krug oder Schale bedeutet. Jedenfalls hatte das Wort um 1200 in
Spanien und Südfrankreich diese Bedeutung. Das Wort Gral ist verwandt mit „crater“, dem lateinischen Wort für Krug oder Becher. Die
Römer übernahmen das Wort von den Griechen. Ein „Krater“ war bei den Griechen
ein Mischkrug, der zum Mischen von Wasser und Wein zu benutzt wurde, denn nur
Barbaren tranken den Wein unverdünnt. Auch Jesus schüttete auf der Hochzeit von
Kanaan, (die übrigens seine eigene war), den Wein in die halbvollen Wasserkrüge
und machte so daraus nach griechischem Brauch eine für kultivierte Menschen
trinkbare Mischung.
Der Gral ist eine
Reliquie, und er gehört wie alle Reliquien in die Kategorie der Fetische und
Talismane, und damit in das Reich des Glaubens und des Aberglaubens. Der Gral
wird als ein Gefäß der göttlichen, segensbringenden Kraft betrachtet. Alle
Gralsmythen gehen von der Vorstellung aus, dass es eine übernatürliche Kraft gibt, die in einem Gegenstand, oder an
einem Ort oder in einem Menschen besonders konzentriert sein kann. Gegenstände,
die mit dieser Kraft aufgeladen sind, nennt man Talismane oder Fetische. Die
erste und wichtigste Geschäftsgrundlage jeder Religion und Magie ist der Glaube
an die Existenz einer übernatürlichen Kraft.
Wenn Jesus Christus der
Sohn Gottes ist, dann muß seine Person in ganz
besonderem Maß mit der göttlichen Kraft aufgeladen sein – so die religiöse
Logik. Und dann muß auch das Blut Jesu in ganz
besonderem Maße die göttliche Kraft enthalten. Und wenn in Sakrament des
Heiligen Abendmahls aus dem Wein im Messkelch das Blut Christi wird, dann kann
der gläubige Christ mit dem Blut Christi die göttliche Kraft trinken und
erlangt damit letztlich das ewige Leben. Dieser magische Prozess der Transsubstantiation (Umwandlung von Brot und Wein in Leib
und Blut Christi) wurde auf dem Konzil im Lateranpalast
zu Rom von 1215 zum Dogma erklärt – just zu der Zeit, als die Gralsromane
entstanden. Dies zeigt, dass man durch die Kreuzzüge mit heidnischer Magie in
Berührung gekommen war und dass diese bis in die Kreise der Kardinale und
Bischöfe Eindruck machte. Sie konnten sich dabei auf den Apostel Paulus
berufen, welcher der hellenistischen Gnosis nahe stand. Paulus machte aus dem
Passahmahl, das Jesus in einem Haus seiner essenischen
Freunde feierte, eine griechisch-heidnisches Mysterienmahl.
Der Gralsmythos ist
schient ein christlicher zu sein, weil er an das Heilige Abendmahl anknüpft und
davon ausgeht, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Trotzdem ist der Gralsmythos ein
heidnischer Mythos, denn es geht dabei nicht um Christus, sondern um den mit
göttlicher Kraft aufgeladenen Fetisch aller Fetische.
Dies ist also die
religiöse Vorstellung, die hinter den Gralsmythen steht: Der Gral ist das Gefäß
der Kraft Gottes. Quasi ein unerschöpflicher Kraftstoffbehälter. Wenn man so
will: der Gral ist der größte und mächtigste Talisman überhaupt. Wer den Gral
besitzt, kann Wunder aller Art vollbringen, erlangt das ewige Leben, göttliche
Weisheit und göttliche Energie, unermessliche Macht und Reichtum. Er wird niemals krank und ist unverwundbar
bzw. alle Wunden und Krankheiten werden innerhalb weniger Minuten wieder
geheilt. Aber schon in den Gralsdichtungen wird dieser Wunschtraum stark
eingeschränkt, denn nur der würdige und auserwählte Mensch kann die Kraft des
Grals nutzbar machen – und zwar bevorzugt für andere, nicht so sehr für sich
selbst.
Der Wunsch,
über die göttliche Kraft zu verfügen, zumindest aber für die eigenen Wünsche
und Bedürfnisse dienstbar zu machen, ist die Triebfeder für alle religiösen,
magischen und abergläubischen Bemühungen. Insofern ist
der Gralsmythos die Quintessenz jeder Religion und Magie. Wenn man alle
Religionen einer großen Destillation
unterziehen würde – heraus käme der Glaube an die göttliche Kraft. Die
göttliche Kraft, enthalten im Heiligen Gral, ist das, was übrig bleibt, wenn
man sich alle Götter, Halbgötter, Heroen, Heiligen, Dämonen und Geister
wegdenkt: ein anonymes, unpersönliches Konzentrat an schöpferischer und
zerstörerischer Energie. Die Chinesen nannten dies Kraft „Chi“ oder „Gi“ und die Ägypter sagten „Ka“
dazu.
In jeder Religion gibt es
die Priester, Magier, Propheten und Gurus, die behaupten, einen besonderen
Zugang zur göttlichen Kraft zu haben und die diese Kraft quasi zu verwalten (am
liebsten als Monopol) und an das gemeine Volk weiterzugeben. Als Beweis für
diese Behauptung dient das Wunder.
In den Gralsmythen ist der
Mensch mit dem Zugriff auf den Gral der Gralskönig, und seine Getreuen sind die
Gralshüter. Der Gral ist nicht für jeden erreichbar. Wer in die Gralsburg
eingelassen wird und sich am Ende dem Gral nähern darf, das entscheiden die
Gralshüter. Und nur einer kann die Kraft des Grals nutzen: der Gralskönig. Er muß auserwählt sein und besondere Eigenschaften haben – die
er gegebenenfalls in einer Prüfung unter Beweis zu stellen hat. Paradoxerweise
kann der alte und kranke Gralskönig Amfortas die
Kraft des Grals nicht nutzen, um sich selbst zu heilen, und er kann auch nicht
mehr die Kraft des Grals für die Erhaltung der Bewohner der Gralsburg
aktivieren. Im fehlt eine Eigenschaft, die der junge Parzival hat. Welche das ist, verraten uns die Namen der
handelnden Personen.
Der Gralsmythos – ein
heidnischer Mythos von Fruchtbarkeit und Lebenskraft
Der Gralsmythos ist kein
christlicher Mythos. Hier irrte Franz von Liszt, als er Wagners Parsifal als
„zu christlich“ bezeichnete.
Wolfram von Eschenbach
berichtet in dem Vorwort zu seinem Parzival: Kyot de
Provence fand die Vorlage für seinen „Ur-Perceval“ in
Toledo, und zwar in einem in arabisch geschriebenen Buch; dessen Autor war der
„Heide Flegetanis“, ein Naturforscher, Arzt, Magier,
Astrologe und „betete ein Kalb als seinen Gott an“, war also ein Anhänger eines
Fruchtbarkeitskultes.
Toledo war eine Metropole
der Mozaraber („Fast-Araber“). Nachdem der größte
Teil der iberischen Halbinsel wieder in der Hand der Christen war, blieben
viele Mauren und Juden in Spanien und bewahrten ihre Kultur weiter. Unter den
Mauren waren viele Schwarzafrikaner, die
zu 90 % an Allah, aber zu 100 % an Magie glaubten. Es gelangten nicht nur die
Werke der großen arabischen Philosophen, Mathematiker und Naturwissenschaftler
nach Westeuropa, sondern auch die afrikanische und orientalische Magie, wo sie
sich mit den keltischen Traditionen verbanden. Wie stark das Heidnische
faszinierte, könnten wir an dem etwa um 1050 beginnenden Baustiel der Romanik
erkennen, deren Portale und Säulenkapitelle von Bestien und Dämonen nur so
wimmeln.
Die Gralsburg „Munsalväsche“ ist nicht der „Mont de salvage“
(Berg des Heils), sondern der „Mont des sauvages“
(der Berg der Heiden). Die Gralsburg liegt nicht irgendwo im Reich von König
Arthur, sondern man kann sie diesseits oder jenseits der Pyrenäen vermuten. Für
Hesemann ist die Klosterburg San Juan de Pena in Aragon die Gralsburg, und nicht die Katharerburg Monstsegur.
Parzival wächst als Heide
auf, er ist unverbildet vom Christentum. Er macht sich auf die Suche nach dem
Gral, der göttlichen Kraft. Er findet sie nicht in einem Kloster oder bei einem
christlichen Heiligen, sondern auf der Gralsburg. Dort regiert Amfortas, ein Onkel von Parzival. Ein weiterer Onkel hat
den Namen Trevrizent
(„Très froisant“, „sehr
schauerlich“). Parzivals Halbbruder heißt Firefiz
(„Sohn des Feuers“). Dessen Mutter ist die schwarzhäutige Belekane
(=Kanebele, also die „Kannibalin“). Parzivals Cousine ist Sigune („die
Zigeunerin“). Besonders christlich klingt das nicht. König Arthur stammt aus
dem Hause Pendragon („gefiederter“ oder „geflügelter
Drache“). Der „alte Drache“ ist in der Bibel der Teufel, der als Luzifer aus
dem Himmel auf die Erde geworfen wird. Arthurs Vorfahren leiteten also ihre
Herkunft vom Teufel ab (einem zum Teufel erklärten Fruchtbarkeitsgott,
dargestellt als Mischung zwischen Mensch und Bock.
Die Namen erzählen die
wahre Geschichte. Es geht nicht um die Erlösung durch Christus und das
Evangelium, sondern um die Kraft, die eher eine teuflische als eine himmlische
zu schein scheint. Und so entdecken wir, hellhörig geworden, dass Parzival zwei
Söhne hat, Kordeix und Loherangrin
(Lohengrin). Kardeix hat „dieu
dans le coeur“, aber in „Logeangerien“ wohnt kein Engel („Loge ange
rien“), sondern ein Teufel, zumindest aber ein
Teufelsanbeter und Dämonenbeschwörer. Seine Utensilien hat er in dem Zimmer,
das seine Frau nicht betreten darf.
Aufschlußreich sind auch die sexuellen Anspielungen in den Namen,
die von den hochmittelalterlichen Lesern und Zuhörern sicher mit Verständnis
und Ergötzung zur Kenntnis genommen wurden. Parzivals Frau heißt Conduiramurs („Liebe machen“), die Partnerin von Firefiz ist Repansedejoie
(„Antwort der Freude“) und Lancelots große Liebe ist Guinevere
(„guinde vierge“ – sie
„windet die Rute nach oben“). Lancelot hat „a lot of lance“
oder “uses his lance a lot”. Schon die Namen Guinevre und
Lancelot lassen schon ahnen, daß die beiden ins
miteinander ins Bett gehen und König Arthur betrügen werden. Lancelots Sohn
heißt Galahead („= gaul ahead“). „Gaul“ heißt in der Sprache Troubadoure die
Stange, verwandt mit deutsch „geil“). Parzivals Vater heißt Gauvain,
„gaul vain“ („vergebliche
Stange“), was darauf hindeutet, dass er bei den adeligen Damen nicht zum Zug
kam.
Einmal im Jahr muß Amfortas den Gral hervorholen
und mit Hilfe von dessen Kraft die Lebensmittelvorräte und letztlich die ganze
Burg und ihre Bewohner erneuern. Dies geschieht durch einen rituellen Beischlaf
mit einer Jungfrau, ganz im Stil der altorientalischen Fruchtbarkeitskulte. Der
Gottkönig erneuert stellvertretend für den Fruchtbarkeitsgott die Welt, indem
er den Beischlaf vollzieht. Das ist eine magische Handlung; in Analogie zur
Befruchtung einer Frau soll die Natur befruchtet werden. Aber der arme Amfortas kann nicht.
Sein Name verrät es: „Amfortas“ ist „infortas“ – ohne (männliche) Kraft. Wie kam es dazu, dass Amfortas ohne sexuelle Kraft ist ?
Amfortas hat sich, enttäuscht über die Zurückweisung
durch Orgeluse („Orgeilleuse“, die „Stolze“) im
Garten der Lüste mit Klingsors Freudenmädchen
eingelassen (so erzählt es Wagner’s Oper in Anlehnung
an Robert der Borons Gralsgeschichte). Dabei hat er sich eine
Geschlechtskrankheit geholt, die ihn am Beischlaf und am Kinderzeugen hindert. Klingsor machte also Amfortas
Klinge sor („sor“ ist
„wund“).
Ähnliches kann man auch
aus den alten Gralsepen herauslesen. Da wird der blutende Speer zusammen mit
dem Gral hereingetragen. Der Speer ist eindeutig ein Phallussymbol. Ein blutender
Speer deutet an, dass Amforts geschlechtskrank war.
Das ist ein Thema, das für die Zuhörer
der Ritterepen, die auf dem Höhepunkt der Kreuzzüge entstanden, sicher aktuell
war. Als Folge der Kreuzzüge breiteten sich Geschlechtskrankheiten aus und der
Fortbestand der Adelshäuser war wegen der grassierenden venerischen Infekte
gefährdet. Außerdem machte den adeligen Zeitgenossen die Erhöhung der Stellung
der adeligen Frauen zu schaffen, die, in Abwesenheit der Kreuzritter
selbständig und selbstbewusst geworden, ihre Verehrer oft stolz abwiesen.
Amfortas kann also
nicht. Jetzt ist guter Rat teuer. Die Mittel der Hexe Kundri (der Zauberkundigen) versagen. Wer soll die Stelle Amfortas einnehmen und als Gottkönig den rituellen
Beischlaf vollziehen und die Kräfte des Grals freisetzen ? Die Antwort: der junge, unverdorbene
Parzival. Er ist mit Amfortas verwandt und kann die
Linie der Gralskönige erhalten. Der Mythos vom göttlichen Blut ist, zumindest
unterschwellig, legitimierende Basis jedes monarchischen Herrschaftsanspruches.
Das Zeugen oder Finden eines würdigen Nachfolgers ist der kritische Punkt jeder
Monarchie.
Parzivals Speer war dank
seiner Enthaltsamkeit gesund geblieben. Er kann das Tal zwischen den Schenkeln
der Jungfrau durchbohren („Perceval“ heißt „percer le val“, „das Tal
durchbohren“). So kann Parzival einen neuen Gottkönig werden und den
Dynastiegründer Titurels (der „Namensgebers“) weiter seine Schattendasein in seiner Gruft führen lassen.
Daß im Gralsmythos die Erinnerung an heidnische
Fruchtbarkeitskulte steckt, gibt auch Dan Brown in seinem Roman „Sakrileg“ zu
erkennen: Jacques de Saunière vollzieht im engsten
Kreis der Prieurie de Sion
einen rituellen Beischlaf, der von seiner Nichte als Kind beobachtet wurde.
Könnte eine
„Dynastie der Nachkommen Christi“ dem Papst Konkurrenz machen
?
Der Gral ist die
Lebenskraft, die sich immer wieder erneuert. Sie ist entgegen allem
Aberglauben, Mythen und Religionen nicht in Personen, Gegenständen oder Orten
konzentriert, sondern sie ist überall. Wenn der Kelch des letzten Abendmahl
noch existiert (warum nicht ?), so ist es aber nur ein
Kelch wie jeder andere, ohne jede Wunderkraft. Wenn des Blut Christi noch als
Reliquie existieren würde, so wäre es halt Blut eines Menschen, sonst nichts,
wenn auch von wissenschaftlichem und historischem Interesse. Und wenn die
Nachkommen Christi noch existieren würden – was soll’s ?
Es wären Menschen wie du und ich. In ihnen wäre die göttliche Kraft nicht in
einem höheren Maße konzentriert als in jedem anderen Menschen. Könnten diese
Nachkommen Christi dem Papst Konkurrenz machen oder gar beanspruchen – aus
ihren Reihen das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche zu stellen ? Nein. Mit
dem gleichen Recht könnte ein Nachfahre Karls der Großen das Recht erheben,
deutscher Bundeskanzler zu werden.
Die göttliche Kraft ist
überall. Aber wir können nicht über sie frei verfügen, sondern sie ist eine
Kraft, die stärker ist als wir und die von uns unabhängig und unbeeinflussbar
durch Magie, Opfer oder Gebet ist. Man kann sie nicht manipulieren, sondern sie
nur respektieren und in Einklang mit ihr leben.