FOCUS Magazin | Nr. 31 (2010)

Wenn im Krankenhaus der Tod lauert- Ein Weltall-Stoff killt alle Keime

Montag 02.08.2010, 00:00 · von FOCUS-Redakteur Christian Pantle
Forscher haben eine neue Waffe gegen Erreger entwickelt: Plasma zerstört selbst die Bakterien, gegen die Antibiotika machtlos sind. Nebenwirkungen zeigten sich bislang nicht.
Der tödliche Wind fühlt sich sanft an. Nur ein warmer Lufthauch ist zu spüren, während das violett leuchtende Bullauge des Plasmageräts sich der Hand nähert. Schon zehn Sekunden später ist die Testbehandlung beendet – und der Handrücken riecht, als wäre man einem gechlorten Schwimmbecken entstiegen. Praktisch alle Bakterien auf dem behauchten Hautareal seien nun getötet, versichert der Münchner Dermatologe Georg Isbary.

Der Hautarzt am Klinikum Schwabing betreut die weltweit erste Studie, in der die neuartige Plasmamedizin an Patienten getestet wird. Die Behandlungsmethode zählt zu den Hoffnungsträgern der Medizinforschung: Das gasähnliche Plasma zerstört in Sekundenschnelle Pilze, Viren und Bakterien – inklusive der gefürchteten multiresistenten Keime.

Diese scheinen der neuen Angriffsmethode wehrlos ausgeliefert zu sein. In Laborversuchen zerstört das Plasma in zwei Sekunden 99,999 Prozent der Bakterien jedweden Typs. „Bislang ist es keinem Erreger gelungen, eine Resistenz dagegen auszubilden“, berichtet Isbary. Er hat bereits bei 180 Patienten chronisch infizierte Wunden – insbesondere offene Beine – mit dem neuen Keim-Killer behaucht. „Bei niemandem verursachte die Behandlung Nebenwirkungen oder Schmerzen“, freut sich der Forscher.

Die Anwendungsmöglichkeiten sind breit gefächert: von der Wundtherapie über Desinfektionen bis zur Bekämpfung von Fußpilz und Karies. „Wir führen intensive Gespräche dazu mit der Industrie“, erzählt Gregor Morfill, Direktor am Max-PlanckInstitut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching bei München. Seine Gruppe hat schon funktionstüchtige Prototypen gebaut: vom mobilen Kleinstrahler im Taschenformat bis zum kommodengroßen Apparat, mit dem Isbary in der Klinik arbeitet.

Das Plasma entsteht, wenn sich in einem Gas die Atome in freie Elektronen und positiv geladene Teilchen aufspalten (Physiker sprechen vom vierten Aggregatzustand neben fest, flüssig und gasförmig). Mehr als 99 Prozent der sichtbaren Materie im Weltall besteht aus Plasma, darunter die Sonne und die meisten Sterne.

Der himmlische Stoff ist normalerweise glühend heiß. 2003 aber gelang es Wissenschaftlern, mit millimetergroßen Mikroblitzen ein sogenanntes kaltes Plasma zu erzeugen, das nur Raumtemperatur hat. Es war die Geburtsstunde der Plasmamedizin, die sich seither rasant entwickelt. „Weltweit arbeiten mehr als 100 Forschungsgruppen auf dem Gebiet“, weiß Isbary.

Deutschland spielt dabei eine führende Rolle. Die Zentren liegen in München/ Garching und in Greifswald, wo die Universität die erste Professur für Plasmamedizin einrichtet.

Wie aber tötet der handwarme Hauch?

In dem Plasma produzierenden Mikroblitzgewitter entsteht ein Cocktail chemischer Verbindungen, darunter Wasserstoffperoxid, Stickoxide und Ozon. „Das Plasma macht die Bakterienhülle kurzzeitig durchlässig, sodass die aggressiven Moleküle in die Erreger eindringen und deren DNA zerstören“, erklärt Julia Zimmermann, Biophysikerin am MPE. Menschliche Zellen dagegen blieben verschont, weil sie geschlossene Verbände bilden – also weniger Angriffsfläche bieten – und weil ihre DNA durch einen Zellkern geschützt ist.

Bis Plasma-Therapiegeräte in die Kliniken einziehen, sind aber noch jahrelange Patientenstudien nötig. Die ersten, jüngst publizierten Ergebnisse stimmen optimistisch. Wie Isbary und seine Forscherkollegen vom Klinikum Schwabing, der Universitätsklinik Regensburg und dem MPE in Garching berichten, verbleiben nach einer kombinierten Plasma-Antibiotika-Therapie um ein Drittel weniger Keime in der Wunde als nach einer reinen Antibiotikabehandlung.

„Das Plasma kann nur die Bakterien an der Oberfläche bekämpfen, nicht im Körper“, schränkt Wilhelm Stolz, Leiter der Dermatologie am Klinikum Schwabing, ein. „Wir haben damit nicht die Lösung aller Probleme bei chronischen Wunden, aber einen weiteren Pfeil im Köcher.“
Der könnte auch auf andere Weise beim Kampf gegen gefürchtete Keime helfen. Die Garchinger MPE-Forscher haben für das Krankenhauspersonal ein toasterähnliches Plasmagerät entwickelt, das die Hände blitzschnell desinfiziert – und damit eine der größten Infektionsgefahren bannt. „Es genügt schon, wenn man die Hand fünf Sekunden hineinhält“, sagt MPE-Ingenieur Bernd Steffes. „Danach ist sie zwar nicht sauber, aber steril.“
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04.09.10, 13:39
Bin gespannt...

von Baerenfaenger

auf die etablierte Lebensweise/Medizintechnik in der Zukunft. Nach dem Artikel sieht es nach einem Kampf zwischen Technik- und Pharmaproduzenten aus. Antwort schreiben

28.08.10, 16:05
Es gibt noch ein Mittel,

von osmosis

das auf er Wirkung von Wasserstoffperoxyd, Ozon, Chlordioxyd, Sauerstoff elektrisch die Bakterien zerstört, ohne Nebenwirkungen. Auch resistente Kulturen. Diese Mittel wird z.B. zur Trinkwasserdesinfektion verwendet. Verdünnt eingenommen, hat es die gleiche Wirkung und eliminiert jeden Erreger. Selbst probiert und bestätigt. Keine Antibiotika mehr nötig. Allerdings nützt es der Pharmaindustrie nicht, weil extrem billig. Deshalb wird es totgeschwiegen. Es heisst MMS. Antwort schreiben

 
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